Das vorgelegte Buch will verdeutlichen, was den Rat Gottes so wertvoll macht, warum es sich lohnt, alles auf diese Karte zu setzen, trotz mancher Hindernisse und Beschwernisse. Es versucht zu
einer spirituellen Sichtweise anzuleiten, die exemplarisch praktische Hilfen zur Gestaltung eines Lebens, das nicht in Unwesentlichem aufgeht, sondern zu innerer Lebensfreude und Harmonie führen
kann. Das ist der Fokus, nicht unbedingt vollständige Erläuterung von Inhalten des christlichen Glaubens.
Adressaten dieses Buches sind vor allem orientalische Christen im deutschen Sprachraum. Insofern wird der christliche Glaube auf dem Horizont der identitätsverunsichernden
Diasporasituation von Christen aus dem Nahen Osten bedacht. Das bedeutet freilich ebenfalls, die Auffassungen und Positionen der christlichen Schwesterkirchen in Mitteleuropa mit in die
Überlegungen einzubeziehen. Auch der säkulare gesellschaftliche Kontext darf nicht ausgeblendet werden. Denn nur aus der Sicht auf die verschiedensten Komponenten kann echte Ökumene resultieren.
Es geht um persönliche religiöse und kulturelle Identität. Hilfestellung ist anzubieten, einen Zugang zum gemeinsamen syrisch-orthodoxen Gottesdienst zu finden sowie ihn verstehend vollziehen und
persönlich ein geistliches Leben gestalten zu können. So kann tägliches Leben in einer pluralistischen Welt besser gestaltet werden. Moses Yalcin hat beschrieben, wie stark bei Migranten
aus dem Tur Abdin die tiefe Sehnsucht nach Geborgenheit, Heimat („Vaterlandsliebe“ im deutschen Sprachgebrauch/„Mutterlandsliebe“ nach aramäischem Empfinden), bis in die Tiefenschichten der
Person präsent ist. Sie bringt Menschen dazu, auch im Schlaf noch „von der alten Heimat zu träumen“ und dem Verlorenen nachzutrauern. Fast scheint es so zu sein, dass die unbeschwerte
Lebensfreude unwiederbringlich verflogen ist.
Die damit verbundene häufig anzutreffende Sprachlosigkeit, die eigenen Gefühle auszudrücken, stärkt die oft depressive Stimmungslage unter Aramäern, entspricht aber nicht unbedingt den
herrschenden Tatsachen. Die zwiespältige Gefühlslage beschreibt das unbefriedigende Leben zwischen den zwei Welten, zwischen Deutschland als neuem „Vaterland“ und dem Tur`Abdin als „Mutterland“.
Gibt es eine Chance, diese Bewusstseinsspaltung zu überwinden? Wie soll das geschehen? Sich der eigenen Situation zu stellen, liegt darin eine Lösung?
Kulturelle Identität wird durch Erinnerungsarbeit gefördert. Ohne den Bezug zur Vergangenheit gibt es auch keine Zukunft – für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft. Davon handelt auch das
folgende Erlebnis eines Jugendlichen, der erfahrungsbezogen davon erzählt:
„Eines Nachts wurde ich plötzlich wach. Ich weiß nicht mehr, warum. Ich weiß auch nicht, ob irgendetwas draußen passiert war. Ich lag im Bett und es war stockdunkel. Nicht der geringste
Lichtstrahl. Wie ich es gewohnt war, drehte ich mich auf die rechte Seite, um das Nachttischlämpchen anzuknipsen. Ich konnte es nicht finden. Da, wo es sonst immer stand, war es nicht. Ich setzte
mich auf, stand auf, tastete mich voran und mich durchfuhr ein großer Schrecken. Nichts war mehr so, wie ich es gewohnt war. Kein Läufer vor dem Bett. Ich stolperte über Schuhe. Angst stieg in
mir hoch. Wie blind machte ich vorsichtig kleine Schritte durch den dunklen Raum. Ich tastete mich schlafwandlerisch in Richtung Wand. Schließlich: ein Lichtschalter. Es wurde hell.
Erleichterung. Um mich herum sah ich ein fremdes Zimmer. Aber zugleich kam langsam die Erinnerung zurück. Gestern Abend waren meine Eltern und ich zu unseren Verwandten nach Herne gefahren. Wir
waren zu Besuch bei Onkel Adnan. Und in dessen Haus durften wir übernachten. Allmählich dämmerte mir, wie ich hierher gekommen war. Todmüde war ich ins Bett gesunken. Nichts Außergewöhnliches.
Nur einen Moment – zwischen Schlaf und Wach-Sein, zwischen Traum und Wirklichkeit – hatte ich vergessen, wo ich war und wie ich hierher gekommen war. Ich ging zurück ins Bett, blieb noch einige
Zeit wach, bis ich endlich wieder gelöst einschlafen konnte.“
Erst wenn bewusst wird, wie wir dahin gekommen sind, wo wir sind, können wir uns unserer selbst vergewissern, wird uns klar, wer wir sind. Der Vorgang, in dem dies geschieht, ist der
Dialog mit der Vergangenheit. Der Weg dorthin ist oft beschwerlich. Doch: Er führt zum Bewusstsein eigener Identität, befreit für eine Sicht dessen, was im Leben wirklich zählt und zu anhaltender
Dankbarkeit und Freude führt.
Am Ende eines jeden Abschnitts werden Fragen zur Erschließung gestellt. Anders als bei herkömmlichen Katechismen, in denen gleich dahinter die Antworten mitgeliefert werden, folgen
hier allerdings keine allgemein gültigen Antworten. Vielmehr wird die eigene Positionsbestimmung und die Verortung des Gelesenen im eigenen Leben angeregt.